Schlagwort: Liechtenstein

Der 3. März 1980

Der 3. März 1980

Montag, 3. März 1980. Mein erster Arbeitstag nach der Lehre als kaufmännischer Verwaltungsangestellter. Nach drei Jahren die eine fixe Stelle bei der Landesverwaltung. Schädlerhaus, Vaduz. Dort kenne ich niemanden. Zivilstandsamt, Landwirtschaftsamt und Forstamt sind hier untergebracht.

Mein Arbeitsplatz im ersten Stock. Landwirtschaftsamt. Ich klopfe schüchtern an. Nichts. Ich gehe durch die Tür. Ein leeres Büro vor mir. Im Nebenzimmer sehe ich einen kleinen, unscheinbaren Mann an seinem großen Schreibtisch sitzen. Er schreibt von Hand, und raucht. Er sieht micht, steht er auf, kommt mir ausgestreckter Hand auf mich zu. Ich bin Ernst, hoi Herbert. Hoi Ernst. Er erklärt, dass seine Sekretärin Hulda Geburtstag habe und heute nicht komme. Auf der Veranda solle ich mir ein Büro einrichten. Wenn Du Möbel brauchst kannst Du Kurt Marxer anrufen.

Ich gehe ans Werk, richte es mir langsam gemütlich ein. Ein Traum auf dieser hellen Veranda mit Blick auf die Florinsgasse. Künftig werde ich hier viel zu sehen bekommen, von der Hochzeit bis zur Beerdigung, ältere Frauen auf dem Weg zum Friedhof, der Forstbeamten Kommen und Gehen.

Kurz nach neun gibt es Kaffeepause. Monika, die Sekretärin des Zivilstandsamts, weist mich in die Kaffeearbeit ein. Wir sitzen beim Kaffee. Der Zivilstandsbeamte Gebhard, ein ehemaliger Polizist, gesellt sich dazu. Es klopft und ein Kopf erscheint. Den kenne ich aus der Zeitung. Dr. Walter Oehry, Regierungsrat (Minister), zuständig für Wald, Natur und Landwirtschaft. Ernst stellt uns vor. Willkommen Herbert. Hallo Walter. Er will Hulda zum Geburtstag gratulieren. Da sie nicht da ist, gibt er mir den Strauß Blumen und verschwindet mit Ernst in dessen Büro.

Am Nachmittag. Ich richte mein Büro weiter ein. Ernst erhält Besuch aus dem oberen Stock. Meine ich. Doch der Besuch galt mir. Landesforstmeister Eugen. Wo ist er, der Triesenberger? Ich erkenne seine Stimme sofort. Er ist einer der besten Freunde meines Großonkels August. Meine Familie mütterlicherseits kennt er sehr gut. Mein Großvater sitzt mit ihm am selben Stammtisch im Real. Wir wechseln ein paar Worte von Triesenberger zu Triesenberger. Dann wendet er sich Ernst zu. Land- und Forstwirtschaftliches wird kurz besprochen. Die beiden sind fast immer einer Meinung.

Nach dem Nachmittagskaffee geht Ernst zu mir in ein Büro. Jetzt ist er da, meinte er. Eine Türe war mit Landesveterinär angeschrieben. Ernst klopfte und betrat das Zimmer. Erich, sagt er, wir haben einen neuen Mitarbeiter. Dr. Erich Goop, der Landestierarzt schaut mich an. Ich gebe ihm die Hand und sage Grüß Gott. Er begrüßt mich und schaut in seine Akten. Erst anderntags, als ich ihm die Post bringe, spricht er mehr mit mir. Er werde mich nur gelegentlich brauchen, aber er bevorzuge das liechtensteinische «Du», nur, meinte er, der Doktor müsse bleiben. Künftig betrete ich sein Büro immer mit den Worten «Du Doggter …»

Die folgenden drei Jahre sind für mich und mein Leben, so denke ich oft, mitentscheidend.

Nachdem ich nach und nach die «alte» Landesverwaltung kennengelernt hatte. Fast sämliche Mitarbeiter der Verwaltung zumindest vom Sehen kannte. Die Amtsleiter und Abteilungsleiter der alten Schule lernte ich mehr oder weniger zu schätzen. Benno, Hugo, Bruno, Gustl, Norbert, Günther, Karl, Franz usw. – eine Männerwelt.

Jetzt würde ich ein Amt über Jahre hinweg sehen. Kurze Wege, Direkttelefon zur Regierung, Handschlagqualität. Wahl- und Postenkämpfe.

Mein Chef Ernst war an Großzügigkeit, Wissen und Intelligenz den anderen Amtsleitern überlegen. Seine Lebensweisheiten, sein Geschichtsbild in Anekdoten (Jahrgang 1920), von der Zeit der liechtensteinischen Nationalsozialisten, seine politische Einstellung. All das hat er mir mitgegeben. Bei schönem Wetter sagte er oft zu mir: Geh zu den Bauern, schau wie es ihnen geht.

Ich habe mich von Balzers bis Ruggell bei den Bauern herumgetrieben. Ihren Geschichten zugehört, jeweils mit dem vor allem im Unterland obligatorischen Schnaps oder einem Bier. Wenn ich einmal etwas zuviel getrunken hatte, fuhr ich direkt nach Hause. Die damals noch neue Stempeluhr bediente Ernst für mich. Ich erinnere mich auch an einen heißen Sommertag. Im Landwirtschaftsamt war ein Lehrmädchen, mit dem ich mich sehr gut verstand. Was meint ihr? sagte er am Morgen, fahrt doch zusammen ins Tessin zum Mittagessen, ich schreibe Euch den Tag gut. Kupplerei der angenehmen Art.

Als es mich unsteten Geist weitertrieb, verschaffte mir Ernst einen Tag in der Redaktion der NZZ, Dr. Walter Diggelmann, ein Freund von Ernst, nahm sich einen halben Tag Zeit, mir einen Ein- und Überblick in die Arbeit eines Redakteurs und eines Journalisten zu geben. Und schließlich war Ernst es, der mir entscheidenden Ansporn gab, das Abitur nachzuholen.

Ich war später noch oft bei ihm im Amt und später auch zuhause im Gässli. Er war ein Freund geworden und er wäre es sicher heute noch.

Dipl. Ing. agr. Ernst Ospelt, Amtsleiter Landwirtschaftsamt

walter oehry (2)

Regierungsrat Dr. Walter Oehry

Eugen

Dipl. Ing. Eugen Bühler, Landesforstmeister

erich goop

Dr. med. vet. Erich Goop, Landestierarzt

Musikgeschichte Liechtensteins

Musikgeschichte Liechtensteins

Kurzer Überblick über die Musikgeschichte des Fürstentums Liechtenstein
Vortrag für den 48. Kongress des Internationalen Musikbundes vom 9. bis 13. Oktober 1996 in Vaduz vom Fürstlichen Musikdirektor Josef Frommelt.

Hier veröffentlicht mit freundlicher persönlicher Genehmigung des Autors.

Will man die Entwicklung des Musizierens in Liechtenstein richtig einschätzen und verstehen, muss man einiges über die Geschichte dieses kleinen Landes wissen. Liechtenstein war immer ein Durchzugsland. Die Lage im Rheintal, durch das seit den Römern eine der Hauptverbindungsstrassen von Norden nach Süden und Süden nach Norden verlief, brachte es auch mit sich, dass viele Heere durchzogen und sich viele kriegerische Ereignisse in

diesem Gebiet abspielten. So fanden z.B. 1499 die grossen Entscheidungsschlachten zwischen den habsburgischen Streitmächten und denen der schweizerischen Eidgenossenschaft in dem Gebiet nördlich von Triesen statt, also an dem Ort, wo wir uns jetzt gerade befinden. Auch in den Jahrhunderten danach zogen immer wieder ganze Armeen durch unser Land. Das Land selbst war zu klein, um sich zu verteidigen, also wurde bei jedem Durchzug und bei jeder Schlacht die Bevölkerung völlig ausgeraubt und nach allen grossen Schlachten beim Abzug der Heere die Dörfer niedergebrannt. Das letzte Mal geschah dies während den „Franzosenkriegen“. Zuerst konfiszierten die Franzosen alle Lebensmittel, Schweine, Kühe und Pferde und im Jahr 1800, als das ausgehungerte Russische Heer auf dem Rückmarsch war, geschah das Gleiche noch einmal. Die Russen sollen sogar die halbreifen Kartoffeln auf den Feldern ausgegraben haben. Dies führte zu einer totalen Verarmung der Region, aber auch zu einer dauernden Zerstörung kultureller Güter und Traditionen. Allerdings liessen sie auch immer wieder einige Relikte ihrer Kultur zrück. Bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts war Liechtenstein sozusagen das Armenhaus Europas. Die breite Bevölkerung war fast ausschliesslich in der Landwirtschaft tätig und da bis in das 17. Jhd. die Leibeigenschaft galt weitgehend ohne Schulbildung. Nur der Mittelstand und die begüterte Oberschicht hatte die Möglichkeit, an ausländischen Schulen eine höhere Bildung zu erlangen und an Universitäten zu studieren. Dies entspricht durchaus der Situation in vielen ländlichen Gegenden in Europa. Das Kulturleben hat sich weitgehend auch auf ähnliche Art wie in ländlichen Gegenden in Deutschland, Oesterreich oder der Schweiz entwickelt. Das Fehlen städtischer Agglomerationen, wichtiger Herrscherhäuser oder bedeutender Klöster hat die Entwicklung einer Hochkultur gar nicht aufkommen lassen. Dass jedoch in gehobenen Kreisen Musik gepflegt wurde, lässt sich aus einzelnen Ueberlieferungen ableiten. Auch die Funde von Maultrommeln in den Ruinen der Burgen Hinter- und Vorderschellenberg aus dem 11./12. und 13. Jhd. lassen auf eine Musikpraxis schliessen, wie sie von den Minnesängern bekannt ist. In den Burgen und Schlössern des Adels wurde grosser Hofstaat gehalten, wozu Musik unerlässlich war. Zuverlässige schriftliche Zeugnisse darüber sind jedoch nicht erhalten. Diese höfische Musikpflege hat anscheinend auch keinerlei Niederschlag in der Bevölkerung gehabt. Ab der Mitte des 18. Jhd. wurde das Schulwesen wesentlich verbessert und somit auch der Zugang zur Musik erleichtert. Erste Hinweise auf kirchenmusikalische Aktivitäten und auf das Vorhandensein einer Orgel finden sich in Triesen aus der Zeit um 1700. Weiters werden einzelne Personen genannt, die als Spielmann bezeichnet wurden, oder im später aufgebauten liechtensteinischen Militärkontingent als professionelle Stabstrompeter oder Signalhornisten erwähnt werden. Die wirklich nachweisbare musikalische Aufwärtsentwicklung beginnt in der ersten Hälfte des 19. Jhd. Von ca. 1800 bis zum heutigen Tag hat sich kulturell eine unglaubliche Entwicklung ergeben, und heute besitzt Liechtenstein ein äusserst intensives und reges Musikleben. Die Blasmusik hat ab 1857 in der Entwicklung der Musikkultur eine wichtige Rolle gespielt. Unser Land zählt heute 10 Blaskapellen, von denen fast jede entweder eine Jugendgruppe oder eine Jugendkapelle unterhält. Die grösste Jugendkapelle ist die Jugendharmonie Eschen, die rund 65 Mitglieder zählt. Ausserdem gibt es im Land derzeit 26 Chöre, das Sinfonische Orchester Liechtenstein, das Orchester Liechtenstein-Werdenberg, das Jugendsinfonieorchester der Liechtenst. Musikschule, eine ganze Reihe von Volks-, Kammermusik- und Jazzensembles, zwei Big-Bands sowie 48 Rock- und Pop-Bands. In meinen nachfolgenden Ausführungen möchte ich Ihnen nun einige Details aus dieser Entwicklung näher herausstellen. Ich kann dabei nur selektiv vorgehen, muss vieles kürzen oder ganz weglassen. Wenn sich jedoch Fragen ergeben, bin ich gerne bereit, einzelne Punkte genauer auszuführen. Um 1850 beginnt ein Aufschwung der Hausmusik und des Musizierens in kleinen Gruppen. Aus diesen Gruppen entwickelten sich die ersten Vereine. Hausmusik und vereinsmässiges Musizieren war zu dieser Zeit fast identisch. 1853 spielte in Seppa-Toni-Frommelts Wirtshaus im Riet (Rotenboden) die „Triesenberger Geigenmusik“. Da die Gründer dieser Gruppe kurz zuvor ein neues Haus gebaut hatten, was damals offenbar eine Sensation war, hiessen sie die „Neuhüsler“. Dieser Name hat sich auf die ganze Gruppe übertragen, die nun entweder die „Neuhüsler-Musik“ oder „D’Giiga-Musig“ hiess. Diese Gruppe ist für unsere Musikgeschichte wichtig, weil von ihr die ersten notierten Tänze erhalten sind. Tanzmusikformation mit 2 Geigen, Klarinette und Bass entsprach der damaligen Tradition. Die Geige war allgemein das vorherrschende Instrument. Der Vormarsch der Blasinstrumente begann erst in der Mitte der 50iger Jahre des letzten Jahrhunderts. Von den „Neuhüslern“ wird in diesem Zusammenhang folgende Geschichte überliefert: 1857 kam zum Jahrmarkt eine böhmische Blaskapelle nach Vaduz. Da die Neuhüsler Musikanten wissen wollten, wie und was diese berühmten Bläser aus Böhmen spielten, schickten sie ein Mitglied nach Vaduz. Dieser war von der Musik so begeistert, dass er der Kapelle bei ihrem Auszug bis nach Schaan nachlief. Als er dann spät in der Nacht wieder in Triesenberg ankam, erzählte er seinen Freunden «Ünschi Sach ischt gar nüüd, Güügeli (Blechblasinstrumente) muass wr zuahitua» und er erzählte weiter, dass diese Böhmen neben den Klarinetten nicht mit Geigen sondern mit Güügeli spielten, die tönten wie himmlische Posaunen. So stellten die Musikanten auf Blasinstrumente um und gründeten somit die erste Blasmusik in Liechtenstein. Leider hat sich diese Formation nicht lange gehalten. Bis 1856 haben die Musikanten alles auswendig nach dem Gehör gespielt. In diesem Jahr kam ein musikkundiger österreichischer Finanzer nach Triesenberg, der den Musikanten die Notenschrift lernte. Aus diesen ersten Aufzeichnungen hat sich glücklicherweise eine Klarinettenstimme erhalten, die mir viele Informationen über die damalige Musizierpraxis, aber auch die Vorlage für Rekonstruktionen der damaligen Tänze gab. Die aufgezeichneten Tänze weisen darauf hin, dass die ursprünglichen Quellen weit zurückliegen. Tänze wie „Langaus“, „Mazuria“, „Masolka“, „Hopser“ und „Schieber“ waren Tanzformen, die in der 2. Hälfte des 18. und anfangs des 19. Jhd. in Mode waren. Der Fund dieser Klarinettenstimme hat mich zu weiterem Suchen animiert, und bis heute habe ich aus der Zeit von 1800 bis 1910 rund 250 Tänze gesammelt, von denen die meisten aus den Gemeinden Triesenberg und Triesen stammen. Vier Bändchen von wieder spielbar gemachten Tänzen habe ich inzwischen in Druck erscheinen lassen. Auch eine CD, die die alten Tänze in der Originalform enthält, wurde vergangenes Jahr produziert. Wie wichtig einzelne Personen für eine historische Entwicklung sein können, beweist Florian Kindle (1839-1909) aus Triesen. Als Theologiestudent hat er um 1860 in Triesen eine Gruppe junger Burschen zum Musizieren gebracht und 1862 haben sie die Musikgesellschaft Triesen, die älteste heute noch bestehende Blasmusik des Landes gegründet. Für diese Gruppe hat er rund hundert Stücke entweder selbst komponiert oder arrangiert. Sein Partiturbuch gehört zu meinen kostbarsten Funden, denn es gibt genaue Auskunft über die Besetzung, die Stücke, die Musizierpraxis bei Konzerten, in der Kirche und vor allem auf dem Tanzboden. Weiters lässt sich das Wachstum des Vereins aus den Instrumentierungen ablesen. Aus der Zeit vor 1850 gibt es wenige schriftliche Dokumente, die klare Hinweise auf das Musiziergut und die Musizierpraxis geben. Ich habe daher versucht, negative Beweise des Musizierens auszuwerten. Ich meine damit Verbote und Gesetzestexte, die Tanzen, Singen und Musizieren verbieten oder regeln. Eine besondere Fundgrube dafür ist die von Fürst Johann Adam von Liechtenstein am 2. September 1732 erlassene Polizei- und Landesordnung des Reichs-Fürstentums Liechtenstein, das sich auf den sogenannten „Augsburger-Reichsabschied“ von 1577 und auf die „Reichspolizeiordnung“ von 1530 stützt. Darin heisst es z.B. „Fremde Spielleute, Gauggler, Springer, Singer, Sprecher, Hofierer oder andere dergleichen unandächtige Purst, welche sich in die Wirtshäuser legen, schlemmen und dadurch andere zue prassen, verderblich Verschwenden Ursach geben, dürfen nicht länger als ein Tag und eine Nacht beherbergt werden.“ Weiter heisst es darin: „Weil der gemeine Mann um die heilige Weihnachten, neue Jahr, um Heil. drey König und Ostertag durch die Singer und Sternbettler überloffen werden, wird dieser bishero eingewurzelte Missbrauch abgeschafft und den Untertanen verboten, dergleichen Faulenzem und Sternenbettlern etwas zu geben“. Es wurde ausserdem verboten „Schädliche Gedichte oder gottlose Lieder weder zu sprechen oder zu singen. Wo jedoch ehrbare Hausleute mit ihrem Gesinde um Holz und Licht zu sparen, mit ihrem Gespinnst oder anderer Arbeit zu ihren Nachbarn oder Verwandten zur Stubeten gehen wollten, das soll ihnen unverwehret, aber doch alle leichtfertige Gesang und Worte verboten sein. Erlaubt ist auch für ledige, junge Gesellen ein öffentlich ehrlicher züchtiger Tanz, allda er züchtig und bescheidentlich gehalten.“ Heute mögen wir über diese Vorschriften lachen. Sie geben uns aber klare Hinweise, dass ein grosses Bedürfnis nach Musik, Gesang und Tanz vorhanden war, dass aber Kirche und Obrigkeit alles versucht haben, dies als etwas Verwerfliches darzustellen und zu verbieten. Sie zeigen uns aber auch, welch tiefe soziale Stellung unsere musizierenden Kollegen vor 300 Jahren hatten. Wie diese Tänze des 16., 17. und 18.Jhd. ausgesehen haben, nach welcher Musik sie getanzt wurden, was für Lieder unsere Vorfahren gesungen haben, ist leider nirgends schriftlich erhalten oder genau geschildert. Auf die Entwicklung der Blasmusik hat auch das Liechtensteinische Militärkontingent einen gewissen Einfluss gehabt, obwohl es keine eigene Musikkapelle hatte. Von 1806 bis 1813 gehörte Liechtenstein dem Rheinbund an und bis 1866 dem Deutschen Staatenbund. Zu dieser Zeit hatte unser Land Verträge mit verschiedenen deutschen Staaten. Damit war die Verpflichtung verbunden, im Bedarfsfall ein Militärkontingent bereitzustellen. Zur Ausbildung des Militärs wurden jeweils wieder separate Verträge mit süddeutschen Ländern abgeschlossen. Der letzte Vertrag dieser Art bestand mit Hohenzollern-Sigmaringen. Unsere Soldaten wurden dort nach den bayerischen Militärmusikvorschriften gedrillt. Im Liechtensteinischen Landesarchiv hat sich das komplette Material für alle Trompeten-, Hörner-, Pfeifensignale und Trommelstreiche erhalten. Ausserdem eine ganze Reihe von Parade- und Defiliermärschen sowie Geschwindmärsche für den eiligen Vor- oder Rückzug oder Märsche im Feldschritt zum Zurücklegen langer Distanzen. Blasmusikdirigenten, die historische Märsche aufführen wollen, interessieren sich vielleicht für die genauen Tempoangaben, die diesen Märschen beigegeben sind. Ich zeige Ihnen davon einige auf. Unser Militär wurde übrigens 1868 abgeschafft. Ich lobe unsere Grossväter! Die Trompeten, Hörner, Pfeifen und Trommeln hatten damals die Funktion, die heute das Funkgerät, das Telefon oder das Walky-Talky haben. Die richtigen Signale zu geben forderte ein gutes Gedächtnis, denn es gab eine Vielzahl von Befehlen, die auswendig, gestochen scharf und mit grosser Geistesgegenwart übermittelt werden mussten. Ein falsches Signal konnte im Gefecht katastrophale Folgen haben. Die Schönheit der musikalischen Darbietung der Musikkapellen stand nur bei Paraden im Vordergrund. Bei den übrigen Einsätzen musste die Musik für Ordnung in der Abteilung sorgen, das Tempo der Feldmärsche, des Vorrückens und des Rückzuges bestimmen, den Soldaten die Begeisterung forcieren und in den müden Körpern die letzte Energie mobilisieren. 1821 wurde die frühere ständische Verfassung durch eine neue ersetzt, die stark am Absolutismus orientiert war. Vereinsbildung und Versammlungen waren verboten. Das Revolutionsjahr 1848 brachte auch in Liechtenstein viel Unruhen. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung führte dazu, dass 1862 eine neue Verfassung erlassen wurde, die endlich das Versammlungs- und Vereinsrecht brachte. In der Folge davon entstanden in allen Gemeinden Musikvereine und Chöre. Wie in unseren Nachbarländern hatte die Blasmusik damals einen stark paramilitärischen Charakter. Dies drückte sich in der Art des Auftretens, in den Uniformen und teilweise auch in der gespielten Literatur aus. Da in Liechtenstein keine eigenen Verlage vorhanden waren, wurden in erster Linie Stücke aus den Nachbarländern gespielt. Erst in den letzten Jahrzehnten ist ein deutliches Abrücken von den Uniformen festzustellen, in dem entweder Trachten oder stilisierte Zivilkleidung eingeführt wurden. Die Literatur entspricht durchaus dem internationalen Repertoire. Liechtenstein hat einen grossen Komponisten hervorgebracht. J.G. Rheinberger (1839-1901), von dem Sie gestern im Eröffnungskonzert einige Werke gehört haben, ist als Komponist, Organist und Kompositionslehrer gleichermassen berühmt geworden. Sein Werk umfasst über 200 grosse Kompositionen. In der ersten Hälfte unserer Jahrhunderts wurde ihm von den Kritikern Akademismus in seinem Kompositionsstil vorgeworfen. Seit ungefàhr 20 Jahren erlebt Rheinberger jedoch international wieder eine grosse Renaissance. Seine Werke werden auf der ganzen Welt wieder gespielt und finden begeisterte Aufnahme. Beim Carus-Verlag Stuttgart ist bereits rund die Hälfte einer neuen Gesamtausgabe erschienen. Die Einspielungen von Werken auf Schallplatten und CD’s füllen bereits Regale. Eine von ihm für Blasorchester komponierte Ouverture ist leider verschollen. Bezüglich seiner Biografie verweise ich auf die erste Seite des Programmheftes für das Eröffnungskonzert. Neben diesem grossen Meister gab es in Liechtenstein immer wieder Komponisten, die für die Blasmusik oder für die Dorfchöre komponiert haben. Wenige dieser Komponisten haben mehr als regionale Bedeutung erlangt. Auf dem klassischen Gebiet gehören zu den bedeutenderen: Florian Kindle (1839-1909), Maximilian Kindle (1887-1949), Fridolin Feger (1922-1952), Paul Biedermann (1889-1979) und Rudolf Schädler(1903 -1990). In den letzten Jahren hat sich Walter Boss mit seinen Märschen und Stücken für Blasmusik einen guten Namen gemacht. Zur Musiktradition unseres Landes haben auch die beiden Operettenbühnen von Vaduz und Balzers beigetragen. Seit über 50 Jahren spielen diese Operettenvereinigungen Bühnenwerke von Johann Strauss bis zu Fred Raymond, und das Erstaunliche daran ist, dass vorwiegend einheimische Kräfte auf der Bühne stehen. Auch der Anteil an einheimischen Orchestermusikern hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten stark erhöht. Einen entscheidenden Einfluss auf die musikalische Entwicklung in unserem Land übt die Liechtensteinische Musikschule aus. Sie wurde 1963 auf die Initative von musikliebenden Privatpersonen gegründet. 1973 wurde sie in eine staatliche Stiftung umgewandelt und bietet heute praktisch sämtliche traditionellen und modernen Instrumente an. Ausserdem Theorie, Gehörbildung und Improvisation. Für das Training des Zusammenspiels stehen 2 Kinderstreichergruppen, eine Jugendsinfonietta, ein grosses Schulorchester, verschiedene Kammermusik- und Volksmusikgruppen, mehrere Kindersinggruppem, ein Erwachsenenchor, eine Jugendjazzband und mehrere Rock- und Popgruppen zur Verfügung. Jährlich werden von der Musikschule rund 200 Vorspielübungen, Schülerkonzerte, grosse Orchester- und Chorkonzerte, Kammermusikabende und Singspielaufführungen durchgeführt. Der Staat trägt 50%, die Gemeinden 25% und die Eltem via Schulgelder 25% der Gesamtkosten. Derzeit sind rund 2’300 Schüler inclusive einer Reihe von Ensembles eingeschrieben. Besondere Bedeutung kommt neben dem Unterricht für die Jugendlichen dem Erwachsenenunterricht zu. Rund 18% der Gesamtschülerzahl sind Erwachsene. Die Regierung sieht in diesem System eine besondere und spezifische Art der Vereins- und Kulturförderung. Der Konzertkalender ist in unserem Land sehr reichhaltig. Viele behaupten schon, er sei völlig überladen. Keinem Verein kann es mehr gelingen, einen Konzerttermin zu finden, an dem nicht gleichzeitig mehrere andere Veranstaltungen stattfinden. Nebst den vielen Konzerten der Musikvereine und Chöre finden professionelle Konzerte des Liechtensteinischen Sinfonischen Orchesters, der Jugend-Sinfonietta und einer Reihe weiterer Ensembles der Liechtensteinischen Musikschule, der Jazz- und Rockbands, sowie grosser ausländischer Orchester statt. Das Theater am Kirchplatz in Schaan bietet Konzertabonnements mit den berühmtesten Orchestern und Solisten der Welt und in der „Tangente“ in Eschen kann man hervorragenden Jazz hören. Fast zu jeder Zeit kann der Zuhörer Darbietungen nach seinem Geschmack aussuchen. Jeden Sommer werden im Rheinbergerhaus Vaduz, dem Hauptsitz der Liechtensteinischen Musikschule, Meisterkurse für junge professionelle MusikerIinnen und SängerInnen angeboten. Weltberühmte Künstler vermitteln dabei ihr Wissen und Können an die angehenden Profimusiker. Seit zwei Jahren wird den Meisterkursen auch ein internationaler Jazz-Workshop zur Seite gestellt, in dem Profi-Jazzer aus verschiedenen Ländern Jazz-Kurse erteilen.

Fronleichnam in Triesenberg

Fronleichnam

Der Üsahärrgottstag – Bräuche und Gebräuche an Fronleichnam

Publiziert in: Dorfspiegel Nr. 87

Der Üsahärrgottstag (Unser-Herrgotts-Tag), wie das katholische Fronleichnamsfest in vielen Mundarten Liechtensteins, Vorarlbergs und der Schweiz genannt wird, lehnt sich an die mundartliche Bezeichnung von Christus, dem Herrn an; dieser wird allgemein als (Unser) Herrgott bezeichnet.

Die Bezeichnung Üsahärrgott ist sicher eine untypische Bildung der Triesenberger Mundart (*Ünschahärrgott). Es gibt in unseren Mundarten noch an mehreren Orten Bildungen mit Üsahärrgott (nach Leo Jutz):

  • Unserherrgottsblümle(in) n. ‚Gänseblümchen (Bellisc perennis)‘
  • Unserherrgottskolben m. Pflanzenname ‚Rohrkolben (Typha latifolia)‘, welche im Herrgottswinkel beim Kruzifix kreuzweise aufgesteckt werden.
  • Unserherrgottsrolle f. Pflanzenname ‚Trollblume (Trollius)‘, sie wird zu Fronleichnam auf den Weg der Prozession gestreut.
  • Unserherrgottsrose f. ‚Pfingstrose (Paeconia officinalis)‘.
  • Unserherrgottswinkel m. ‚(meist geschmückte) Ecke in der Stube, in der das Kruzifix aufgehängt ist‘; und dann eben der
  • Unserherrgottstag m. ‚Fronleichnamstag‘ (im vorarlbergischen Götzis wird der Sonntag nach Fronleichnam alter Unserherrgottstag genannt)

Fronleichnam, mittelhochdeutsch vrônlîch(n)am ‚Leib des Herrn‘, ist die mittelhochdeutsche Übersetzung des lateinischen CORPUS DOMINI. Dieses Fest der katholischen Kirche zur Verehrung der Eucharistie wird am Donnerstag nach dem Dreifaltigkeitsfest (1. Sonntag nach Pfingsten) gefeiert. Der Feiertag entstand im Spätmittelalter, als man die Feier der Messe immer mehr als Schauspiel betrachtete und der Mahlcharakter der Eucharistie weitgehend aus dem Bewusstsein geschwunden war. Den äusseren Anstoss gaben die Visionen der heiligen Juliana von Lüttich (†1258), die 1209 in Visionen auf das fehlende Fest der besonderen Verehrung des Altarsakramentes aufmerksam wurde. 1246 wurde das Fest in Lüttich eingeführt; 1264 schrieb es Urban IV. für die ganze Kirche vor. Für die liturgischen Texte in Messe und Stundengebet wird (besonders für die Orationen, die Sequenz „Lauda sion salvatorem“ und den Hymnus „PANGE LINGUA GLORIOSI“) mit guten Gründen Thomas von Aquin als Verfasser angenommen.

Die Fronleichnamsprozession

Höhe- und Mittelpunkt des Fronleichnamsfestes ist die Prozession, bei der seit der Mitte des 14. Jahrhunderts das Allerheiligste durch die Strassen getragen wird. An vier Altären werden Texte aus den vier Evangelien gesungen, und nach Gebet wird der Segen erteilt. Als Reaktion auf die Reformation und ihr Verständnis des Abendmahls wurde das Fronleichnams-Fest mit seiner prunkvollen Prozession eine öffentliche Demonstration katholischen Eucharistieverständnisses. Das von liturgischer Bewegung und nachkonziliarerer Erneuerung geprägte Eucharisitieverständnis hat in jüngerer Zeit neuere Formen vor allem der Prozession entstehen lassen bzw. teilweise die Prozession ganz abgeschafft.

An der festlichen Fronleichnams-Prozession waren in den Städten nach altem Brauch in entsprechender Rangordnung und Kennzeichnung durch Trachten alle Stände und Altersklassen, die Zünfte und Bruderschaften beteiligt bzw. repräsentiert. Dies zeigt sich heute noch in Prozessionsordnungen, welche von Dorf zu Dorf verschieden sind. Auch das festliche Beflaggen von Strassen und Häusern zeigt das enge Zusammenleben von kirchlichem und weltlichem Fest gerade am Fronleichnamstag.

Bei der Prozession «um da Hag» tragen vier Mitglieder der Gemeindebehörde (Vorsteher, Vizevorsteher, Gemeindekassier und der an Jahren älteste Gemeinderat; die zwei jüngsten Gemeinderäte tragen Laternen) den sogenannten Himmel, einen Baldachin, unter welchem der Pfarrer die Monstranz mit dem Allerheiligsten trägt.

Früher waren es vier, heute sind es nocht zwei Altäre, an denen die Prozession Halt macht und der Pfarrer je einen Anfang der vier Evangelien singt und den Segen erteilt. Die Altäre sind festlich geschmückt; vor die Altäre wird ein Teppich aus entstielten Blumen (Margrita, Bachrolla, Scabiose, Pfingstrosenblätter) gelegt. Neben den Hauptaltären finden sich bei den Häusern, an denen die Prozession vorbeiführt, kleine privat Altäre.

Von der Trachtengruppe (früher von den Jungfrauen) wird eine Muttergottesstatue in der Prozession mitgetragen. Um da Hag geht man heute noch mit Kind und Kegel. Die Frauen tragen ihre kleinen Kinder oder stossen den Kinderwagen. Daran hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert.

Der Üsahärrgottstag im Volksglauben

Der Üsahärrgottstag hat auch im Volksglauben und Volksbrauch mannigfache Spuren hinterlassen. In Deutschland ist die Fronleichnamsprozession sofort nach ihrer Einführung zur Flur- und Wetterprozession geworden: Die Prozession bewegt sich durch die Felder, wo nach den vier Himmelsrichtungen vier Altäre erbaut sind. In vielen Gegenden der Steiermark hat am Fronleichnamstag jedes Mädchen die Pflicht, beim Kirchgang einen grünen Kranz auf dem Kopf zu tragen und so vor der ganzen Gemeinde ein erneutes Zeugnis seiner Jungfräulichkeit abzulegen.

Ein Kinderfesttag

Fronleichnam ist auch ein Kinderfesttag. Säuglinge und Kinder, die an die Prozession mitgenommen werden, gedeihen gut. Wenn man mit ihnen alle vier Altäre besucht, sind sie vor einem unnatürlichen Tod sicher, auch herrscht an manchen Orten die Meinung, solche Kinder ertränkten sich nicht. In Süddeutschland stellt man das Kind nach der Prozession auf die Stelle eines Altars, wo beim Segen das Allerheiligste gestanden hat, damit es gehen lerne. In Endingen am Kaiserstuhl bringt man auf die Altäre Wein und Äpfel, die nach der Prozession an die Kinder verschenkt werden, damit sie gesund bleiben. In Tschechien lässt man Rosen und andere Pflanzen in der Kirche weihen und legt sie dann den Kindern in ihr Bett. In Triesen gab es früher nach der Vesper ein sogenanntes Kinderfest.

Heilkräfte und Hexenabwehr

Den Pflanzen, die zum Schmuck der Altäre angebracht sind, wohnen vielerlei Kräfte inne; man bewahrt sie auf und benutzt sie zu allerlei magischen Zwecken: Man hängt sie über Türen und Bildern auf, um böse Geister fernzuhalten und legt sie unter den Strohsack um böse Geister abzuhalten. Auch einige nicht zum Prozessionsschmuck verwendete Pflanzen haben an Fronleichnam besondere Kraft. Wer einen Vierklee findet, während bei der Prozession das Evangelium des Johannes gesungen wird, kann damit allerlei Zauberkünste treiben; wenn man einem unschuldigen Kind einen Vierklee in die Haare zopft, sieht es alle Hexen; die blaue Kornblume, auf Fronleichnamstag mit der Wurzel ausgerissen, stillt Nasenbluten, wenn man sie in der Hand hält, bis sie warm wird; die letzten Sommerrettiche sät man an Fronleichnam. Die Bienen, die an Fronleichnam schwärmen, sind die vorzüglichsten – man sagt, sie bauten dann eine Monstranz.

Wetterregeln

Schönes Wetter am Fronleichnamstag verspricht reichlichen Honigertrag Wenn es an Fronleichnam auf die bestreuten Prozssionsstrassen regnet, dann wird jeder Tag, an welchem man heuen will, nass; wird das Gras, mit welchem teilweise die Prozessionsstrassen bestreut worden sind, dürr, dann kommt auch das Heu gut in den Stall; «ist’s um Fronleichnamstag klar, so bedeutet’s Gutes ohn‘ alle Gefahr».

Auch allerlei Unheimliches verbindet der Aberglaube mit dem Fronleichnamsfest: Wer im Neckar badet, ertrinkt; einen Mann, der beim Holzhacken zu Tode gefallen war, hört man auch nachher noch Holz hacken; es zeigen sich die Alpgeister; Holzdiebe werden durch Schlangen erschreckt. Hierher gehört wohl auch der Brauch, am Üsahärrgottstag nur die notwendigsten Arbeiten auf dem Hof zu erledigen, vor allem aber nicht zu heuen. Wer an diesem Tag die Heuernte einbringt, dem ist das Unglück im Stall sicher. An Fronleichnam gibt es viele örtliche Sonderformen, die bekanntesten sind wohl der Antlassritt im Brixental, die Blumenbilder in den Münchner Kirchen, die Hallstätter Schiffprozession oder das Wegelschtraat der Deutschen in Ungarn, wo der Priester mit der Monstranz über einen kunstvollen Teppich aus Blumen und Grün schreitet. Die enge Verbindung von Ritus und Volksleben erweist auch der traditionelle Festnachmittag; vielerorts wird an diesem Nachmittag der Herrgottswein getrunken; in Triesenberg trifft sich die Gemeinde auf dem Dorfplatz.

Mütschlisunntig

Am Triesenberg ist es Brauch, dass die Kinder von Gotta und Götti Mütschli erhalten; ein Umstand, der dem Üsahärrgottstag den Zweitnamen Mütschlisunntig bescherte. Das Mütschli geht sprachlich auf das mittelhochdeutsche Wort mütschelin zurück, eine Verkleinerungsform zu mutsche f. ‚kleines, geringes Brot‘; auf mutsche geht auch unser Mundartwort Mutsch m. für ein Tier (meist ein Rind, eine Kuh oder eine Geiss), welches keinen schönen Kopf hat. Ähnliche Bräuche finden sich auch in Vaduz und Schaan, wo das Üserherrgottsbrötle (in Schaan das Krüzerbrötle) nach der Prozession an die Kinder verteilt wird. Weiss gekleidete Mädchen tragen in Finhaut (Unterwallis) auf einer Bahre einen kleinen Turm aus zwei Kuchen mit einem diese krönenden Kreuz. Der Prozessionsweg zur Kirche ist lang. Nach dem Gottesdienst, oder schon beim Credo, wird das Gebäck unter die Gläubigen verteilt. Da der Brauch auch andernorts vorkommt, liegt ihm zweifelsohne der frühmittelalterliche Brauch der Bedürftigenspeisung zugrunde, der seinerseit aus dem frühchristlichen Abendmahl, dem Agape, hervorging.

In Triesenberg gilt für den Fronleichnamstag scherzhaft auch der Name Hansbadischta-Tag, doch ist dies eine andere Geschichte.

Weichnachten früher

Dieser Artikel beruht auf einem Gespräch mit Agathe und Hubert Sele †, Gufer 37, Triesenberg (Jahrgänge 1917 und 1927). Sofern nicht speziell vermerkt, beziehen sich die Angaben auf den Zeitraum von ca. 1920 bis 1940.

Das Weihnachtsfest wird seit Mitte des 4. Jahrhunderts gefeiert. Vor dieser Zeit gab es zwar das Fest der Geburt Christi (am 6. Januar), aber erst durch die Terminverschiebung auf den 25. Dezember fand die Vermischung mit den Mittwinterfesten der Germanen statt, und zugleich bewirkte die Terminverschiebung, dass auch römische Neujahrs- und Mittwinterbräuche ins christliche Weihnachtsfest übergingen.

Also ist im christlichen Weihnachtsfest mit römischen und germanischen bzw. vorrömischen und vorgermanischen Bestandteilen zu rechnen. Diese Bestandteile wiederum führten in den einzelnen Regionen und zu verschiedenen Zeiten zu recht unterschiedlichen Ausprägungen. Vieles vom Brauchtum um das Weihnachtsfest, wie wir es heute kennen, ist noch relativ jung. So ist der Christbaum bei uns gerade einmal hundert Jahre alt, Adventskranz oder gar Adventskalender sind noch viel jünger.

Der 6. Dezember

Der 6. Dezember wird am Triesenberg seit den, vermutlich späten, zwanziger Jahren in einer der uns bekannten Arten gefeiert.

Am Abend kam der Sämichlaas, meist ein naher Verwandter oder Bekannter (in der Regel ein Onkel), bekleidet mit Mantel, Bart und Zipfelchappa. Mit den Worten bätta, bätta betrat er die Stube, und die Kinder sagten das Schutz-Engeli mein auf.

Der Sämichlaas wusste über die guten Taten der Kinder genauestens Bescheid, denn in den Tagen oder Wochen zuvor legten die Kinder ein Scheit vor das Haus, auf welchem für jede einzelne gute Tat von den Eltern eine Kerbe angebracht wurde. Für den Esel vom Sämichlaas legten die Kinder zuweilen abends ein Wüsch Heu vor das Haus.

Der Sämichlaas hatte von Anfang an dieselben Funktionen wie heute: Er rügte die Kinder ihrer schlechten Eigenschaften wegen, lobte deren gute Taten und nahm die Weihnachts-Wünsche entgegen.

Der Sämichlaas kam in den ersten Jahren vermutlich noch allein in die Stuben, später begleitete ihn das Christkind, das ganz in Weiss gekleidet war, sich aber passiv verhielt. Die Ablösung des Christkindes durch den Krampus geschah erst in den vierziger oder fünfziger Jahren.
Als Gaben brachten der Sämichlaas und das Christkind gedörrte Birnen, Äpfel und Nüsse.

Der Sämichlaas begab sich nach dem Besuch der Kinder mit einem oder beiden Elternteile in die Küche, um sich mit einem Schnaps zu stärken. Die Kinder mussten währenddessen im Wohnzimmer bleiben.

Weihnachten

Am Abend des 24. Dezember wurden die Kinder früh zu Bett gebracht. An diesem Abend wurde vom Christkind der Christbaum geschmückt. Den Baum hatte der Vater bei der Gemeinde erstanden.

Die Christbäume, die die Gemeinde verkaufte, waren plombiert und der Waldvogt kontrollierte, ob die Bäume rechtens gefällt worden sind. Wenn es sich beim Christbaum um einen unplombierten Baum aus privatem Waldbesitz handelte, musste die Herkunft des Christbaumes anhand des Stammstumpfes, welcher im Wald zurückgeblieben war, bewiesen werden können: Dem Waldvogt wurde das untere Ende des Christbaumstammes übergeben, damit im Wald die rechtmässige Herkunft kontrolliert werden konnte. Der Christbaum stand im Tischwinkel. Er war mit bunten Kugeln, Äpfeln, Engelshaar und Zäälta geschmückt.

Die Kinder standen am Morgen des 25. Dezember meist früher als sonst auf, um sofort in der Stube nachzuschauen, was das Christkind ihnen gebracht hatte. Geschenke gab es an Weihnachten ausschliesslich von den Eltern. Es handelte sich wiederum um Äpfel und gedörrte Birnen sowie um eine Zäälta; meistens lag noch ein Paar Socken unter dem Christbaum. Grössere Geschenke waren etwa eine Riitgeis. Den Mädchen schenkte man, sobald sie älter geworden waren, etwas an die Aussteuer. Besonders beliebt waren bei den Kindern die Zäälta, auf denen, wie heute noch, ein Bild vom Sämichlaas aufgeklebt war. Mit diesen Bildern schmückten die Kinder die Wände im Haus. Nach der Bescherung gingen die Kinder in das Amt, am Abend wurden die Kerzen auf dem Christbaum entzündet. Der Christbaum stand bis ca. Mitte Januar, teilweise sogar bis Lichtmess in der Stube.

Jahreswechsel

Wer am Morgen des letzten Tages des Jahres als erste(r) aufstand, wurde Tilitapp gerufen, wer am längsten schlief Silvester. Am Silvesterabend trafen sich die Jungmänner auf Üenaboda. Die Nacht verbrachten sie, indem sie von Haus zu Haus zogen (berücksichtigt wurden natürlich nur Häuser, in denen ein lediges Mädchen wohnte).

Die Kinder besuchten am Neujahrstag die Taufpaten, von denen sie ein Geldgeschenk erhielten (zwei Franken). Ausserdem besuchten die Kinder alle Häuser im eigenen Bot. Hier erhielten sie pro Haus entweder fünf Rappen, ein Stück Birnbrot oder einen Apfel.

An Dreikönig war im Kulm die Christbaumfeier, die abwechslungsweise von der Harmoniemusik und dem Männergesangsverein organisiert wurde. An dieser Christbaumfeier, einer der wenigen jährlichen Tanzveranstaltungen von damals, stand auf der Tanzfläche ein geschmückter Christbaum. Im Laufe des Festes wurde der Christbaum Ast für Ast unter den Anwesenden zugunsten der jeweiligen Vereinskasse versteigert. Dieses Fest ist mit dem Beginn des 2. Weltkriegs verschwunden.